Hereditäre Tumorprädispositionssyndrome bedingen ein erhöhtes Risiko für die Entstehung von malignen Tumoren. Entsprechend wird für Betroffene eine engmaschige Überwachung empfohlen. Inwieweit die Liquid Biopsy diesen Patienten zukünftig andere, als belastend empfundene Früherkennungsuntersuchungen ersparen kann, muss in klinischen Studien evaluiert werden. Besonders der Nachweis von zirkulierender Tumor-DNA (ctDNA) ist vielversprechend für die Früherkennung von Tumoren sowie den Nachweis einer minimalen Resterkrankung bzw. von Rezidiven. Welche Sensitivität die Methode bei der Erkennung von Tumorvorstufen wie z. B. Adenomen hat, bleibt abzuwarten.

Hereditäre Prädisposition für gastrointestinale Tumoren

Hereditäre Tumorprädispositionssyndrome sind verantwortlich für die Entstehung von ca. 5 % aller malignen Tumoren [21]. Pathogene Keimbahnvarianten in Genen, welche in die Regulation des Zellzyklus oder in die DNA-Reparatur involviert sind, führen zu einem erhöhten individuellen Tumorrisiko. Zu den häufigsten Tumorprädispositionssyndromen zählt mit einer Prävalenz von ca. 1:300 das Lynch-Syndrom [29]. Durch pathogene Keimbahnvarianten in den DNA-Mismatch-Repair(MMR)-Genen haben Patienten mit Lynch-Syndrom ein deutlich erhöhtes Risiko von bis zu 80 % für die Entstehung von kolorektalen Karzinomen (KRK) bzw. von bis zu 60 % für die Entstehung von Endometriumkarzinomen [4]. Darüber hinaus ist auch das Risiko für die Entstehung von Karzinomen in weiteren Organen wie beispielsweise Magen, Ovarien oder Urothel erhöht [4]. Während das Lynch-Syndrom die häufigste hereditäre Prädisposition für gastrointestinale Tumoren darstellt, sind auch weitere Prädispositionssyndrome, wie beispielsweise die familiäre adenomatöse Polyposis (FAP), mit einem erhöhten Risiko für die Entstehung eines KRK assoziiert [1].

Vorsorge bei Patienten mit hereditärer Tumorprädisposition

Patienten mit einer hereditären Tumorprädisposition benötigen eine engmaschige Überwachung, um Tumoren bereits in einem frühen Stadium zu detektieren und zu behandeln, oder durch die Entfernung von Adenomen zu vermeiden. Beim Lynch-Syndrom werden zur Früherkennung von KRK regelmäßige Koloskopien empfohlen. Aktuell wird in Deutschland für alle Lynch-Syndrom-Patienten eine Empfehlung zur Koloskopie alle 1 bis 2 Jahre ab dem Alter von 25 Jahren ausgesprochen [13]. Das Risiko für KRK unterscheidet sich jedoch abhängig vom jeweils ursächlichen Gen. So haben Anlageträger einer pathogenen PMS2-Variante ein deutlich niedrigeres Risiko für ein KRK als Träger einer pathogenen MLH1-Variante. Deshalb wird in europäischen Leitlinien inzwischen ein späterer Untersuchungsbeginn und ggf. größere Zeitintervalle zwischen den Koloskopien für MSH6- und PMS2-Anlageträger empfohlen [3, 23]. Allerdings ist die Datengrundlage hierfür nach wie vor schwach, da es gerade für diese Gene nach wie vor nur wenige prospektive Daten gibt und eine individuelle Risikovorhersage nicht möglich ist.

Obwohl gezeigt wurde, dass regelmäßige Koloskopien bei Patienten mit Lynch-Syndrom zu einer Reduzierung der Inzidenz von KRK führen, ist dies nach jüngeren Daten nur begrenzt möglich. Insbesondere bei MLH1- und MSH2-Anlageträgern treten auch bei engmaschigen Koloskopien Intervallkarzinome auf. Bei Anlageträgern einer pathogenen MSH6- oder PMS2-Variante scheint die regelmäßige Abtragung von präkanzerösen Adenomen im Rahmen engmaschiger Koloskopie tatsächlich zu einer Verhinderung vieler Karzinome zu führen [2]. Insofern ist nicht sicher, ob diese Patienten von der auf europäischer Ebene vorgeschlagenen Verlängerung der Koloskopie-Intervalle profitieren. Eine ergänzende Untersuchung von Biomarkern im Intervall mit ggf. zusätzlichen Koloskopien bei auffälligen Befunden könnte sowohl für die Hochrisikopatienten als auch für die Patienten mit moderatem Risiko bei verlängerten Koloskopie-Intervallen eine risikoadaptierte Früherkennung ermöglichen.

Nicht alle Patienten nehmen die aktuell empfohlenen Früherkennungsuntersuchungen wahr

Zudem nehmen nicht alle Patienten die aktuell empfohlenen Früherkennungsuntersuchungen wahr. Gründe hierfür sind in erster Linie, dass die regelmäßigen Koloskopien als belastend und als Beeinträchtigung der Lebensqualität empfunden werden. Viele Betroffene würden weniger invasive Überwachungsmethoden, wie beispielsweise die Untersuchung von Biomarkern, bevorzugen [14].

Liquid Biopsy bei Tumorerkrankungen

Eine Liquid Biopsy bezeichnet die minimal-invasive Entnahme von Körperflüssigkeiten, in der Regel Blut, zur Untersuchung von zirkulierenden Markern wie zirkulierenden Tumorzellen (CTC), zirkulierender Tumor-DNA (ctDNA) oder extrazellulären Vesikeln (EV). Insbesondere die Analyse von ctDNA, welche aus abgestorbenen Tumorzellen freigesetzt wird, ist für die klinische Anwendung vielversprechend, nachdem der Anteil von ctDNA in der gesamten zellfreien DNA (cfDNA) direkt mit dem Vorhandensein von Tumorzellen korreliert [16].

Für den Nachweis von ctDNA wird die gesamte cfDNA auf tumorspezifische Aberrationen untersucht. In der klinischen Anwendung liegt der Fokus aktuell auf dem Nachweis von tumorspezifischen Hotspot-Varianten, um so Therapieentscheidungen zu unterstützen [19]. Darüber hinaus zeigt die Analyse von ctDNA großes Potenzial für den Nachweis einer minimalen Resterkrankung nach einer Operation sowie die Überwachung auf das Ansprechen bzw. die Entwicklung von Resistenzen auf eine Therapie (Abb. 1). Die Daten aus ersten prospektiven Studien zeigen schon jetzt, dass ctDNA ein Marker für die Entscheidung für oder gegen eine adjuvante Chemotherapie nach einer Operation [25] sowie für die Umstellung der Therapie bei Resistenzentwicklung [5] darstellt.

Abb. 1
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Liquid-Biopsy-Analysen sind für eine Vielzahl von onkologischen Fragestellungen informativ (MRD „minimal residual disease“) (erstellt mit BioRender.com). (Aus [30]. Mit freundl. Genehmigung, © A. Hallermayr, alle Rechte vorbehalten)

Für den Nachweis von ctDNA wird die gesamte cfDNA auf tumorspezifische Aberrationen untersucht

Allerdings weisen nicht alle Tumoren Hotspot-Varianten auf, die gezielt für die Überwachung des Krankheitsverlaufs in ctDNA analysiert werden können. Entsprechend beschäftigt sich die aktuelle Forschung mit der Entwicklung von nicht zielgerichteten Methoden, welche den Nachweis von ctDNA unabhängig von dem Vorhandensein solcher Varianten und damit für möglichst viele Tumorpatienten ermöglicht.

Möglichkeiten der Liquid Biopsy für die Früherkennung von Tumoren

Durch den bereits oben beschriebenen direkten Zusammenhang von ctDNA mit dem Vorhandensein von Tumorzellen birgt eine Liquid Biopsy auch ein großes Potenzial für die Früherkennung von Tumoren. Nachdem in frühen Tumorstadien nur niedrigste Mengen an ctDNA freigesetzt werden, sind hochsensitive nicht zielgerichtete Methoden für den Nachweis von ctDNA eine wichtige Voraussetzung [18]. Hierbei werden beispielsweise strukturelle Veränderungen (Rearrangements und Kopienzahlveränderungen), Änderungen der DNA-Methylierung, spezifische Chromatin-Signaturen oder Änderungen in der cfDNA-spezifischen Fragmentierung untersucht, die in praktisch allen Tumoren vorkommen (Abb. 2).

Abb. 2
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Spektrum an tumorspezifischen Aberrationen, welche für den Nachweis von ctDNA genutzt werden können. (Aus [30]. Mit freundl. Genehmigung, © A. Hallermayr, alle Rechte vorbehalten)

Ein besonderes Augenmerk liegt auf der Analyse von cfDNA-spezifischen Fragmentierungsmustern sowie von Chromatinsignaturen. Nach Freisetzung in die Zirkulation wird cfDNA nicht komplett zufällig degradiert. Vielmehr ist an Nukleosomen gebundene DNA besser vor dem Abbau geschützt. Hieraus ergibt sich die cfDNA-typische Fragmentlänge von ca. 167 bp, was der an ein Nukleosom gebundenen DNA plus Linker entspricht [20]. In geschlossenem Chromatin, welches aus dicht gepackten Nukleosomen und entsprechend nicht zugänglichen DNA-Abschnitten besteht, führt dies zu längeren cfDNA-Fragmenten und einer höheren Sequenziertiefe im Vergleich zu offenem Chromatin, in dem transriptionell aktive Gene liegen [7, 20, 24, 28]. Durch den direkten Zusammenhang der cfDNA-Degradierung mit der Chromatinstruktur ergibt sich aus der Fragmentlängenanalyse somit sogar die Möglichkeit der indirekten Expressionsanalyse [24, 28].

Im Vergleich von Tumorpatienten und gesunden Personen ermöglichen sowohl Unterschiede der cfDNA-Fragmentierung als auch Unterschiede in der Sequenziertiefe den Nachweis von ctDNA. Mouliere und Kollegen beobachteten generell kürzere Fragmentlängen in Tumorpatienten sowie einen höheren Anteil an ctDNA in kurzen cfDNA-Fragmenten [17]. Cristiano und Kollegen beschrieben eine hohe Sensitivität für den Nachweis von ctDNA anhand von cfDNA-Fragmentierungsanalysen über das Genom [7]. Darüber hinaus zeigten Ulz und Kollegen, dass durch die Analyse der Chromatinstruktur an Transkriptionsfaktorbindungsstellen (TFBS) der Nachweis von ctDNA bereits in frühen Tumorstadien möglich war [27]. Unabhängig von der cfDNA-Fragmentierung und Chromatinsignaturen ermöglicht auch die Analyse von DNA-Methylierungsmustern den hochsensitiven Nachweis von ctDNA. Chen und Kollegen konnten mittels einer DNA-Methylierungsanalyse in 595 Regionen das Vorhandensein von Tumorerkrankungen bis zu 4 Jahre vor der klinischen Diagnose vorhersagen [6]. Neuere Studien zeigten, dass eine kombinierte Analyse von verschiedenen cfDNA-Merkmalen die Sensitivität für den Nachweis von ctDNA sogar erhöhen könnte [11, 20].

Insgesamt birgt die hohe Sensitivität verschiedener nicht zielgerichteter Methoden für die Analyse von ctDNA ein großes Potenzial für die Früherkennung von Tumoren. Für eine Integration in die klinische Diagnostik muss allerdings zunächst die analytische Validität dieser Methoden gezeigt werden.

Liquid Biopsy in der Vorsorge

Eine Analyse von ctDNA aus einer Liquid Biopsy als Marker für die Früherkennung von Tumoren ist vielversprechend. Der minimal- bzw. nicht-invasive Charakter einer Liquid Biopsy ermöglicht regelmäßige ctDNA-Analysen, welche neben einer besseren Repräsentation der gesamten Tumorheterogenität im Vergleich zu Standard-Gewebebiopsien auch ein schnelleres Ergebnis nach der Probenentnahme ermöglicht [8, 15, 22]. Zudem ist ein Liquid-Biopsy-basiertes Screening nicht auf einzelne Tumorentitäten limitiert, sondern ermöglicht den Nachweis von Tumoren in verschiedenen Geweben bzw. Organen [6, 7]. Entsprechend stellt eine Liquid Biopsy eine mögliche Ergänzung zu aktuellen Früherkennungsuntersuchungen bei Patienten mit hereditärer Tumorprädisposition dar.

Wie oben beschrieben, sind hochsensitive nicht zielgerichtete ctDNA-Analysen für eine Anwendung in der klinischen Versorgung notwendig. Es wurde eine Vielzahl an vielversprechenden Methoden entwickelt, welche die Anforderungen für eine Früherkennung erfüllen können. Allerdings müssen diese Methoden vor der Implementierung in die Praxis präzise validiert sowie standardisiert werden, um so qualitativ hochwertige Ergebnisse zu erzielen. Darüber hinaus benötigt es große prospektive klinische Studien, welche die Sensitivität und Spezifität von ctDNA-Analysen für die Früherkennung von Tumoren sowie deren Vorstufen bestätigen. Ein besonderer Fokus sollte bei entsprechenden Studien auf Patienten mit hereditären Tumorprädispositionssyndromen gelegt werden, da hier das erhöhte Tumorrisiko gesichert ist.

Liquid Biopsy in der Nachsorge

Um das Vorliegen eines Rezidivs einer vorangegangenen Tumorerkrankung möglichst früh zu erkennen, sind regelmäßige Nachsorgeuntersuchungen notwendig. Auch für die Nachsorge birgt die ctDNA-Analyse aus einer minimal-invasiven bzw. nichtinvasiven Liquid Biopsy ein großes Potenzial. Anders als bei der Früherkennung ist es bereits heute möglich, die Liquid Biopsy in die Nachsorge zu integrieren.

Eine Liquid Biopsy ermöglicht den Nachweis einer minimalen Resterkrankung sowie von Rezidiven

Hierfür können die bereits validierten, hochsensitiven zielgerichteten Methoden zur ctDNA-Analyse genutzt werden. Das können entweder Methoden zum Nachweis einzelner Varianten, wie beispielsweise eine digitale Polymerasekettenreaktion (PCR), sein oder auch die Analyse relevanter Regionen und Gene mittels ultratiefer Sequenzierung [9, 10, 12]. Damit ist es möglich, tumorspezifische Varianten bereits ab einer Allelfrequenz von 0,1 % zu detektieren. Bei vielen Tumorerkrankungen wird inzwischen im Rahmen der Diagnostik das Tumorgewebe auf genetische Varianten untersucht. Diese aus dem Tumorgewebe bekannten Varianten können mittels zielgerichteter Analysen in der ctDNA detektiert werden. So ist der Nachweis einer minimalen Resterkrankung nach einer Operation oder auch das frühzeitige Erkennen eines Rezidivs möglich [26]. Um die Vorteile einer Liquid Biopsy auch für die Patienten zu ermöglichen, die keine entsprechenden Varianten in ihrem Tumorgewebe aufweisen oder bei denen keine Gewebesequenzierung durchgeführt wurde, sind − ähnlich wie für eine Früherkennung − hochsensitive nicht zielgerichtete Methoden für den Nachweis von ctDNA notwendig.

Der Nachweis einer minimalen Resterkrankung nach einer Operation oder auch der frühzeitige Nachweis eines Rezidivs ermöglicht eine therapeutische Intervention und kann das Überleben der Patienten positiv beeinflussen.

Fazit für die Praxis

  • Für Patienten mit einer hereditären Tumorprädisposition werden regelmäßige Früherkennungsuntersuchungen empfohlen, um Tumoren bereits im Frühstadium detektieren und behandeln zu können.

  • Eine Liquid Biopsy ermöglicht die Analyse von ctDNA, welche direkt mit dem Vorhandensein von Tumorzellen zusammenhängt.

  • Für die Früherkennung von Tumoren mittels Liquid Biopsy sind hochsensitive, nicht zielgerichtete Methoden für den Nachweis von zirkulierender Tumor-DNA (ctDNA) notwendig.

  • Sobald nicht-zielgerichtete Methoden zum Nachweis von ctDNA, wie die Analyse von Fragmentierung, Chromatin-Signaturen oder auch epigenetischen Alterationen in der zellfreien DNA (cfDNA), präzise validiert und standardisiert sind, stellen sie eine vielversprechende Möglichkeit für einen zukünftigen Einsatz in der Vorsorge von Patienten mit hereditären Tumorprädispositionssyndromen dar.

  • Neben der Vorsorge ermöglicht die Liquid Biopsy schon jetzt den Nachweis einer minimalen Resterkrankung/eines Rezidivs und kann damit als unterstützender Marker für die Therapiesteuerung von Patienten dienen.